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Marktkommentar

Dr. Jens Bies (SKALIS): Die Hintergründe und Folgen eines "Brexit"

Guten Tag!

Die Briten stimmen am 23. Juni mit der Frage "Should the United Kingdom (UK) remain a member of the European Union?" über ihren Verbleib in der EU ab. Umfragen zufolge sind die Ansichten gespalten. Der Anteil der EU-Befürworter liegt ebenso wie der Anteil der EU-Gegner bei etwa 40 Prozent, der Rest ist unentschlossen. Das Szenario Brexit (1), wie das Kunstwort für den möglichen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU lautet, beschäftigt aktuell nicht nur die UK-Bevölkerung, sondern wird in der EU von vielen Beobachtern als signifikante Gefahr für den Zusammenhalt Europas betrachtet. Ebenso wie die griechische Tragödie im letzten Sommer (möglicher Griechenland-Austritt aus der Währungsunion, "Grexit") und einem Zulauf anti-europäischer Parteien innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten sind dies Anzeichen einer Union, welche sich zunehmend desintegrativen Tendenzen gegenüber sieht. Auch die Finanzmärkte bewerten diese Gefahr als signifikant, so dass der Ausgang des Referendums nicht nur Rückschlüsse auf die Entwicklung der UK-Volkswirtschaft und deren Finanzaktiva hat, sondern auch auf die gesamteuropäischen Märkte. Von daher ist das Thema aktuell von zentralem Interesse. In dieser Kolumne wird es zum einen um die Hintergründe und die Folgen eines potentiellen "Brexit" gehen, sowohl für das Vereinigte Königreich als auch die EU. Zum anderen lassen sich daraus Rückschlüsse für die Entwicklung der Vermögenspreise herleiten. Zunächst möchte ich jedoch analysieren, wie es eigentlich zu einem EU-Referendum kommen konnte?

Seit dem Beitritt des Vereinigten Königreichs zur EU im Jahr 1973 gilt das Verhältnis der Briten zur EU als angespannt, was sich an verschiedenen Begebenheiten in der Vergangenheit festmachen lässt. So gab es bereits 1975 ein von der Labour Partei nach deren Wahlsieg im Jahr zuvor initiiertes Referendum über den Verbleib in der EU, das aber die EU-Befürworter mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit gewannen. 1984 erwirkte die damalige konservative Premierministerin und für ihren konsequenten Politikstil als eiserne Lady bekannt gewordene Thatcher mit den legendären Worten "I want my money back!" einen Rabatt für die britischen Beiträge an den EU-Haushalt, den die EU nach wie vor gewährt. Das Schengener Abkommen, das 1995 in Kraft gesetzt wurde und die Abschaffung der Passkontrollen an den Grenzen zwischen den beteiligten EU-Ländern beinhaltet, hat das Vereinigte Königreich bis heute nicht unterzeichnet. So ist es nicht verwunderlich, dass die Briten den Beitritt zur EU immer als eine nüchterne Geschäftsbeziehung angesehen haben, die für viele auf der Insel v.a. darauf fußt, dass die EU in erster Linie eine Freihandelszone ist, die wirtschaftliche Vorteile bringt. Die Nachteile wurden über die Jahrzehnte mit mehr oder weniger Ablehnung in Kauf genommen. Nichtsdestotrotz wurde keinem anderen Mitglied innerhalb der EU so viele Ausnahmen und Sonderregeln eingeräumt wie dem UK.

Mittlerweile gilt das Vernunftbündnis aber als vergiftet, was v.a. am Thema der Zuwanderung festzumachen ist. Seit der Osterweiterung der EU in 2004 sind in großer Zahl Einwanderer ins Land geströmt. Allein in den letzten zehn Jahren sind im Zuge der Arbeitnehmer-Freizügigkeit innerhalb der EU ca. 600 Tsd. Menschen aus den osteuropäischen EU-Staaten zugewandert, wovon die Polen mit ca. zwei Drittel die größte Bevölkerungsgruppe ausmachen. Darüber hinaus sind im letzten Jahr knapp 400 Tsd. Menschen eingewandert, womit sich der Einwandererstrom im Vergleich zur Jahrtausendwende verdoppelt hat. Insgesamt ist im UK ein Klima der Fremdenfeindlichkeit entstanden, so dass die EU-Gegner schon allein deshalb den "Brexit" wollen, um die nationale Souveränität über die Zuwanderung wiederherzustellen. Aus diesem Grund und um die Euroskeptiker innerhalb der Partei zu befriedigen, hatte der britische Premierminister Cameron von den konservativen "Tories" bereits im Vorfeld der Parlamentswahlen 2015 die Abhaltung der schon lange diskutierten Volksabstimmung über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU angekündigt. Zusätzlich motiviert hatte ihn aber auch die taktische Überlegung, die EU mit einem möglichen Ausstiegsszenario des UK dazu zu veranlassen, weiteren Privilegien Großbritanniens in der EU zuzustimmen. Doch welche Privilegien sollen das sein bzw. welche Forderungen hat das Vereinigte Königreich an die EU?

Zusammenfassend konzentrieren sich die Forderungen des Vereinigten Königreichs auf vier Hauptthemen.

i) Wettbewerbsfähigkeit: Die Stärkung des Binnenmarkts ist für das UK die wichtigste Priorität und zugleich der einzige Bereich, in dem die Briten eine Vertiefung der EU-Integration wünschen.

ii) Gerechtigkeit: Eine gewisse Fairness bezüglich der Stimmenverteilung und des Abstimmungsmechanismus soll zwischen der Eurozone (2) (auch Euro-19 genannt) und den weiteren neun EU-Mitgliedern (wozu auch Großbritannien gehört) geschaffen werden.

iii) Einwanderung: Das UK betrachtet Einwanderung anders als der Rest der EU. Für die Briten ist zuallererst die EU-Binnenmigration (Einwanderung aus den östlichen Mitgliedsstaaten) ein Problem, nicht so sehr die aktuelle Flüchtlingskrise. Befürchtungen einer übermäßigen Belastung der Sozialsysteme sind nicht unbegründet, doch die Optionen in diesem Punkt eine nachhaltige Lösung zu finden, sind begrenzt, da die anderen Mitgliedsstaaten nicht bereit sind, das Prinzip der Personenfreizügigkeit zu gefährden.

iv) "Opt-Out"-Option zur weiteren EU-Integration: UK will außerdem eine "Opt-out"-Option aus der Verpflichtung zu immer engeren Integrationsbestrebungen. Das Vereinigte Königreich unterzeichnete dieses Prinzip mit dem 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon (EU-Reformvertrag), doch seither hat es anscheinend seine Meinung geändert und sieht die Souveränitätsrechte als stark gefährdet an. Aktuell stimmen Regierungskreise der Idee eines mehrstufigen Europa nicht mehr länger zu, das annimmt, alle sollten in dieselbe Richtung gehen, aber in unterschiedlichen Geschwindigkeiten.

Die britischen Motive für einen Brexit sind schwer festzumachen. Es kann kein Zweifel bestehen, dass das UK durch die EU-Mitgliedschaft profitiert, weil es den Zugang zu einem großen Binnenmarkt hat. Ganz zu schweigen von der spezifischen Situation der Bankenwelt in der Londoner City. Dass diese Mitgliedschaft auch mit Lasten verbunden ist, wie sich am Beispiel der Personenfreizügigkeit zeigt, ist der EU wesensinhärent. Auch lässt sich wohl nicht behaupten, dass das Vereinigte Königreich im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten der EU übermäßig belastet wäre. Ganz im Gegenteil! Nichtsdestotrotz haben sich die Staats- und Regierungschefs im Februar dieses Jahres nach zähen Verhandlungen auf ein Reformpaket mit Großbritannien verständigt, um das Vernunftbündnis wieder zu stärken. Dieses Paket beinhaltet u.a. eine von der britischen Regierung geforderte "Notbremse", mit der EU-Ausländer von Sozialleistungen für maximal vier Jahre ausgeschlossen werden können. Zudem wird London zugesagt, dass die Mitbestimmungsrechte von Nicht-Eurozonenstaaten geschützt und die Wettbewerbsfähigkeit sowie die Rolle nationaler Parlamente gestärkt werden sollen. Als Folge dieser Verhandlungen und der beschlossenen Kompromisse will sich der britische Premier Cameron nun für eine weitere EU-Mitgliedschaft seines Landes aussprechen. In Interviews und auf dem letzten EU-Gipfel gab er sich zuversichtlich, dass die nun erzielte Einigung ausreiche, um den Briten den Verbleib in der EU zu empfehlen.

Was allerdings wäre, wenn Cameron nicht Recht behielte. Wäre ein Austritt des Vereinigten Königreichs überhaupt möglich? Was wären die Folgen eines Austritts?

Die Rechtsfrage, ob ein Mitgliedstaat überhaupt aus der EU austreten darf, ist relativ leicht beantwortet. Gemäß dem mit dem Vertrag von Lissabon geschaffenen Art. 50 Abs. 1 kann jeder Mitgliedstaat im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der EU auszutreten. Konkret teilt ein Mitgliedstaat, der beschließt auszutreten, seine Absicht dem Europäischen Rat mit und die EU handelt mit diesem Staat ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aus. Für die Verhandlungen werden max. zwei Jahre veranschlagt, wobei dieser Zeitraum in gegenseitigem Einvernehmen verlängert werden kann. Innerhalb dieses Zeitraums bleibt das Land Teil der EU. Verstreicht die Frist ohne Verlängerungszusage, ist das Land auch ohne Abkommen aus der EU ausgetreten (sog. "Hard Exit"). Sofern ein Abkommen zustande kommt, beschließt der Europäische Rat dann nach Zustimmung des Europäischen Parlaments mit qualifizierter Mehrheit das ausgehandelte Abkommen (sog. "Soft Exit"). Diese etwas umständliche Regelung lässt erahnen, dass der Austritt eines Staates aus der EU keine so leichte Sache ist, aber durchaus darstellbar.

Die dezidierten Folgen eines UK-Austritts sind zunächst schwer absehbar. Sowohl für das UK als auch für die EU wären die Einschnitte allerdings massiv. Das Vereinigte Königreich würde mit dem Austritt die vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes (freier Güter-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr) aufgeben. Die Regierung in London müsste also neue Verträge mit der EU aushandeln, um sich zumindest einen Teil der Vorzüge des Binnenmarktes zu sichern. Deshalb muss darauf hingewiesen werden, dass sämtliche Analysen zu den Folgen des Brexits nur auf Annahmen basieren können. Denn noch ist völlig unklar, wie die EU und Großbritannien ihre Wirtschaftsbeziehungen bei einem Ausscheiden regeln würden. Eine Studie des ifo Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2015 geht von drei Szenarien aus (3):

i. Beim "Soft Exit" erhält Großbritannien einen ähnlichen Status wie die Schweiz und Norwegen, die Handelsabkommen mit der EU haben. Vorteil wäre der Wegfall von Zöllen, wobei weiterhin das Problem der sogenannten nicht-tarifären Handelshemmnisse (4) bestünde. So entstehen bei nicht einheitlichen Regeln für die Unternehmen zusätzliche Kosten.

ii. Beim "Hard Exit"-Fall verliert Großbritannien sämtliche Privilegien - also auch jene, die sich aus einer Vielzahl von existierenden Handelsverträgen der EU mit anderen Nicht-EU Staaten ergeben.

iii. Das dritte Szenario wäre irgendwas zwischen den o.a. Punkten. Es gibt kein spezielles Handelsabkommen wie mit Norwegen und der Schweiz, was zur Folge hätte, dass sowohl britische als auch EU-Unternehmer wieder Zölle zahlen müssten, was ihre Waren tendenziell verteuert.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Briten selbst im günstigsten Fall, also dem "Soft Exit", deutliche Nachteile zu erwarten hätten. In Zahlen ausgedrückt lägen die Verluste beim BIP für die britische Volkswirtschaft im Jahr 2030 zwischen 0,6 und drei Prozent. Den einzigen Vorteil eines "Brexit" wären der Studie zufolge das Stoppen der Einzahlungen in den EU-Haushalt. 2014 betrug der Nettobetrag Londons an die EU rund 4,9 Mrd. EUR bzw. gut 0,2 Prozent des britischen BIP. Eine Untersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC im Auftrag des Industrieverbandes CBI (5) ergab sogar drastischere Folgen für die UK-Volkswirtschaft. Bis zum Jahr 2020 könnten sich die Kosten bei einem "Hard Exit" auf 100 Mrd. GBP summieren (ca. 5 Prozent des BIP) und knapp eine Mio. Jobs verloren gehen, so dass die Einsparungen durch einen "Brexit" von den negativen Folgen für Handel und Investitionen bei weitem zunichtegemacht würden. Auch in einem "Soft Exit"-ähnlichen Szenario, wo Großbritannien neue Handelsabkommen mit den früheren EU-Partnern aushandelt, würde PwC immer noch mit einem Schaden i.H.v. ca. 3 Prozent des BIP bis 2020 ausgehen.

Wie bereits erwähnt, gehen diese Studien von vielen Annahmen aus, die in der Realität schwer abzuschätzen sind. Unbestritten ist aber, dass das Vereinigte Königreich rein ökonomisch betrachtet eng mit der EU verbunden ist. Mehr als die Hälfte aller britischen Exporte gehen in andere EU-Staaten, was einem Anteil von knapp 14 Prozent des britischen BIP entspricht. Noch größer ist der Anteil an Gütern, die Großbritannien einführt. Durch den "Brexit" wären aufgrund von mit Zöllen belasteten, verteuerten Ausfuhrwaren v.a. die britischen Exportunternehmen gefährdet. Zwar haben z.B. Norwegen und die Schweiz freien Zugang zum Binnenmarkt, obwohl sie keine EU-Mitglieder sind, doch beide Länder müssen im Gegenzug die freie Zuwanderung von Arbeitskräften aus der EU akzeptieren. Genau dieser Punkt ist aber einer der Hauptanstöße für die Abhaltung eines Referendums im UK.

Besonders leiden dürften die stark international ausgerichteten Finanzdienstleister im Londoner Bankenviertel. Mit einem Wertschöpfungsanteil von acht Prozent an der Gesamtwirtschaft kommt der Finanzbranche eine große Bedeutung zu. Viele internationale Großbanken haben ihre Europazentralen in London. Da London von der EU und den dortigen Regeln abgeschnitten wäre, würden viele Finanzdienstleister Im Falle eines "Brexits" ihre über EU-Gesetze geregelten Geschäftsmöglichkeiten in anderen europäischen Ländern verlieren, weshalb viele einen Großteil ihrer Aktivitäten künftig von Kontinentaleuropa aus steuern würden. Einschlägige britische Zeitungen gehen deshalb davon aus, dass allein in der Londoner City bis zu 100.000 Arbeitsplätze wegfallen könnten. Auch für die britischen Landwirte hätte der Brexit weitreichende Folgen. Bis zu 50 Prozent ihres Einkommens stammen derzeit von Subventionen der EU, die dann wegfallen würden. Es ist fraglich, ob die britische Regierung die fehlenden Subventionen bei einem angespannten Haushalt übernehmen würde.

Ein EU-Ausstieg wäre ganz sicher ein Spiel mit dem Feuer, denn das zu betretende wirtschaftliche Neuland und die daraus abzuleitende Ungewissheit könnten zu einer Welle der Kapitalflucht und einer Zahlungsbilanzkrise führen. Das Vereinigte Königreich importiert mehr als es exportiert, weshalb es auf das Vertrauen ausländischer Kreditgeber angewiesen ist. Hinzu käme nicht zu unterschätzendes politisches Risiko. Das EU-freundliche Schottland würde sich womöglich vom Rest des UK abspalten, um weiter in der EU bleiben zu können. Die Vorsitzende der Scottish National Party Sturgeon hatte im Austrittsfall kürzlich ein weiteres Referendum in Aussicht gestellt. Neben den EU- bzw. Euro-Raum-Austrittsbestrebungen von Nationalstaaten könnte ein "Brexit" auch regionale Autonomiebestrebungen (Beispiel Katalonien) fördern. Von daher hätte die EU bezüglich des auszuhandelnden Abkommens im "Brexit"-Fall wenig politischen Anreiz, den Briten entgegenzukommen. Wenn Großbritannien gestattet würde, die wirtschaftlichen Vorteile der EU weitgehend ungeschmälert zu nutzen, ohne den Pflichten der Mitgliedschaft nachzukommen, warum sollten andere Mitgliedstaaten dann nicht dasselbe versuchen und ebenfalls austreten? Dadurch könnte ein brisanter Präzedenzfall geschaffen werden, was die EU unbedingt verhindern muss.

Die EU als Konstrukt leidet in der aktuellen "Brexit"-Debatte. Das Vereinigte Königreich ist nicht das einzige Land, in dem es EU-kritische Stimmen gibt. Parteien in anderen Mitgliedstaaten, wie beispielsweise "Die (wahren) Finnen", die "Alternative für Deutschland", die italienische "Lega Nord", der französische "Front National" oder die "Partij voor de Vrijheid" sind EU-skeptische Bewegungen, die an Zulauf gewinnen. Die Gründe für eine ablehnende Haltung gegenüber der EU sind mannigfaltig. Sie lauten:

i) Angst vor einem Verlust der nationalen Identität und der staatlichen Souveränität

ii) Befürchtung einer Überregulierung seitens der EU

iii) Hohe Nettozahlungen an die Gemeinschaft

iv) Hohe Zuwanderung aus anderen EU-Mitgliedstaaten inklusive des Verlusts der eigenen Kultur, eines Anstiegs der Arbeitslosigkeit und einer Überforderung der sozialen Sicherungssysteme

Bezogen auf die Folgen eines "Brexit" würden auch andere EU-Länder die Nachteile spüren. Gemäß der Bertelsmann-Studie wäre das reale BIP je Einwohner in Deutschland wegen der nachlassenden Handelsaktivitäten im Jahr 2030 schätzungsweise zwischen 0,1 und 0,3 Prozent geringer als ohne einen Austritt Großbritanniens. Zugleich müssten alle EU-Länder den Wegfall der Beiträge des Nettozahlers Großbritannien zumindest teilweise ausgleichen. Für Deutschland dürften die dadurch entstehenden zusätzlichen jährlichen Ausgaben gegenwärtig bei rund 2,5 Mrd. EUR brutto liegen. Frankreich müsste knapp 1,9 Mrd. EUR zusätzlich zahlen, Italien fast 1,4 Mrd. EUR und Spanien rund 0,9 Mrd. EUR (siehe Diagramm 1).

Wie entwickeln sich im Austrittsfall eigentlich die Vermögenspreise in Europa?

Ein "Brexit" stellt meiner Meinung nach eine erhebliche Gefahr für Europa und damit die Gemeinschaftswährung dar, weshalb auch der EUR im Vorfeld des "Brexit"-Referendums noch unter Druck kommen dürfte. Vor allem zwei Mechanismen dürften den EUR im Fall eines "Brexit" belasten. Zum einen würde eine in UK zu erwartende Rezession auch zahlreiche Euro-Raum-Staaten treffen, die regen Handel mit dem Vereinigten Königreich betreiben. Allein Deutschland exportiert ca. 7 Prozent des BIP auf die Inseln. Am schlimmsten würde es sicherlich Irland treffen, da es das einzige Land ist, das ein Handelsbilanzdefizit mit dem UK aufweist. Zum anderen könnte ein UK-Austritt eine Blaupause für ähnliche Strömungen in anderen Ländern darstellen. Dementsprechend könnte bei einem "Brexit" die Zukunft der EU und damit auch der Eurozone (EU als Fundament des EUR) in Frage gestellt werden. Dies würde zu steigenden Risikoprämien und Kapitalabflüssen führen. Vom Ausmaß her könnte dies durchaus an die Schuldenkrise 2011/2012 erinnern. Das weiter bestehende QE-Programm der EZB dürfte der Ausweitung der Risikoaufschläge zwar entgegenwirken, diese aber angesichts des dann bröckelnden Fundaments der EZB nicht vollständig kompensieren. Kurzum: Solch ein Fall wäre ein negatives Ereignis für risikobehaftete Wertpapiere, und zwar flächendeckend! In diesem Szenario sind weitere, stimulierende Maßnahmen der EZB sehr realistisch.

Aktuell preist der Markt noch nicht die lt. den aktuellen Umfragen 50%-ige "Brexit"-Wahrscheinlichkeit ein. Bisher ging dieses Szenario aufgrund der zu erwartenden negativen wirtschaftlichen Folgen für UK lediglich zulasten von UK Anlageklassen, v.a. aber zulasten des GBP. So hat das Pfund handelsgewichtet seit Jahresanfang gut fünf Prozent, in der Spitze sogar bis zu neun Prozent verloren (siehe Diagramm 2). Beim EUR ist bislang noch keine wahrnehmbare Vorwegnahme des "Brexit"-Risikos zu sehen. Der EUR hat handelsgewichtet seit Jahresanfang um knapp drei Prozent aufgewertet. Demnach ist es nicht unrealistisch, dass in den nächsten Wochen die steigende Unsicherheit mit Blick auf das Referendum auch zu fallenden EUR-Kursen führen dürfte.

Fazit:

Ein "Brexit"-Szenario würde sowohl für die EU als auch für das Vereinigte Königreich wenig Vorteile bringen. Die Konsequenzen eines solchen Austritts sind aufgrund der zu treffenden Annahmen schwer abzuschätzen. Je nach unterstellter Schärfe des Austritts sind signifikante wirtschaftliche und politische Schäden aber sehr wahrscheinlich. Darüber hinaus kann ein Austritt des UK einen politischen Schneeball ins Rollen bringen und eine Blaupause für weitere EU-Mitgliedsstaaten darstellen.

Die Finanzmärkte würden einen Austritt des UK sehr kritisch bewerten und voraussichtlich mit einem Abverkauf risikobehafteter Wertpapiere reagieren. Vermögenspreise von Staaten, die regen Handel mit dem Vereinigten Königreich betreiben, dürften besonders betroffen sein (z.B. Benelux-Staaten, Irland, aber auch Deutschland).

(1) Die Abkürzung "Brexit" (ein Kunstwort aus "Britain" und "Exit") ist ein wenig irreführend, da nicht "Britain", also Großbritannien, sondern das Vereinigte Königreich (zu dem neben England, Schottland und Wales auch Nordirland gehört) aus der EU austreten würde.

(2) Als Eurozone wird die Gruppe der EU-Staaten bezeichnet, die den Euro als offizielle Währung besitzen. Die Eurozone besteht aktuell aus 19 EU-Staaten.

(3) Bertelsmann Stiftung (2015): Brexit - Mögliche wirtschaftliche Folgen eines britischen EU-Austritts, Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2015/05, 1. Auflage.

(4) Unter nichttarifären Handelshemmnissen versteht man Maßnahmen der Außenhandelsbeschränkung. Dabei handelt es sich beispielsweise um Vorschriften bei der Kennzeichnung von Produkten oder Umweltstandards.

(5) PwC (2016): Leaving the EU - Implications for the UK Economy, März.

Hinweis: Diese Kolumne enthält die gegenwärtigen Meinungen des Autors, aber nicht notwendigerweise die der SKALIS Asset Management AG. Die Informationen, die für diese Kolumne verarbeitet worden sind, kommen aus Quellen, die der Autor für verlässlich hält, für die er aber nicht garantieren kann.

 

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